Klinisches Bild eines akuten Porphyrieschubs
Ein akuter Porphyrieschub zeichnet sich durch die Symptom-Trias aus abdominellen Schmerzen, zerebralen Symptomen und einer peripheren Neuropathie aus.
Pathobiochemische Grundlage ist eine durch die Porphyrinvorstufen hervorgerufene neurologische Dysfunktion, die das autonome, zentrale und/oder periphere Nervensystem betreffen kann. Die neurologischen Symptome unterscheiden sich bei den verschiedenen akuten Porphyrien nicht.
Ein wichtiges zusätzliches klinisches Zeichen ist die Rot- oder Dunkelverfärbung des Urins, die bei der Mehrzahl der Betroffenen auftritt. Typischerweise dunkelt die Urinprobe beim Stehenlassen nach. Manche Patienten berichten daher über dunkle Flecken in der Unterwäsche. Zusammen mit anderen Laborveränderungen und Umständen legen diese Symptome den Verdacht auf eine akute Porphyrie nahe.
Abdominelle Schmerzen
Bei mehr als 90 % der Patienten treten im akuten Porphyrieschub kolikartige Abdominalschmerzen mit herabgesetzter Magenmotilität, Übelkeit, Erbrechen, Obstipation und einem Ileus-ähnlichem Bild auf. Die Symptome werden durch eine autonome viszerale Neuropathie vermittelt. Daneben können auch Schmerzen im Rückenbereich oder in den Oberschenkeln auftreten. Weiterhin kann sich eine schwere Beeinträchtigung des peripheren Nervensystems mit einem paralytischen Ileus und einer Blasen- und Mastdarmlähmung entwickeln. Weitere Symptome sind eine Ruhetachykardie oder ein labiler Hypertonus.
Zerebrale Symptome
Als Ausdruck zentralnervöser Störungen kommt es bei etwa 60 % der akuten Porphyrieschübe nahezu zeitgleich mit den Abdominalschmerzen zu hirnorganischen Psychosyndromen. Diese können von leichten psychischen Beeinträchtigungen bis hin zu einer paranoiden Psychose, zum Delir oder zum Koma reichen. Es finden sich sowohl depressive als auch agitierte Bilder. In Einzelfällen treten Mono- oder Hemiparesen auf.
Eine kortikale Blindheit mit komplettem Visusverlust kann im Rahmen eines posterioren reversiblen Enzephalopathiesyndroms (PRES) entstehen. Unter einem PRES versteht man multifokale vasogene Hirnödeme, die im MRT als symmetrische Signalintensitätssteigerungen in Marklager und Kortex, insbesondere occipital und im posterioren Parietal- sowie Temporallappen erkennbar sind. Das reversible PRES kommt nicht nur bei akuten Porphyrieschüben, sondern auch bei verschiedenen anderen Erkrankungen wie der hypertensiven Enzephalopathie, schweren Leber- und Nierenerkrankungen, Eklampsie oder Gabe von Chemotherapeutika vor.
Einzelne Patienten entwickeln im akuten Porphyrieschub ein Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion (Schwartz-Bartter-Syndrom). Die vermehrte ADH-Sekretion führt zu einer Wasserretention und bedingt eine sekundäre Hyponatriämie, wobei ein Serum-Natriumwert von unter 110 mmol/l Bewusstseinsstörungen bis hin zum Koma und bei etwa 10 % der Patienten epileptische Anfälle verursachen kann.
Periphere Neuropathie
Etwa 10-40 % der Patienten mit einer akuten Porphyrieattacke entwickeln eine periphere vorwiegend motorische Neuropathie. Diese tritt nicht isoliert auf, sondern in Verbindung mit den Symptomen der autonomen viszeralen Neuropathie. Zumeist gehen auch zerebrale Symptome voraus. Bei den meisten Betroffenen wird die Polyneuropathie durch Gabe von porphyrinogenen Medikamenten in Unkenntnis des Vorliegens einer akuten Porphyrie ausgelöst.
Die Paresen können bis zu einer Beteiligung der Atemmuskulatur fortschreiten, sodass eine maschinelle Beatmung erforderlich wird. Es handelt sich um eine überwiegend motorische Neuropathie mit atypischer Verteilung der Lähmungen, d. h. die Arme sind bei etwa der Hälfte der Betroffenen stärker als die unteren Extremitäten, die proximale Muskulatur bei 80 % ausgeprägter als die distalen Muskelgruppen betroffen. Bei einem Drittel der Patienten beginnen die Lähmungen an den Beinen, in der Hälfte der Fälle mit proximaler Betonung. Eine asymmetrische Verteilung der Paresen ist häufig. Als Zeichen einer sensorischen Neuropathie werden Sensibilitätsstörungen entweder socken- und handschuhförmig oder im Rumpfbereich wie ein „Badeanzug“ angegeben. Die Reflexe sind meist erloschen. Weiterhin bestehen bulbäre Symptome oder eine Gesichtslähmung, mehr als die Hälfte geben myalgiforme Beschwerden an. Die Untersuchung des Liquors ergibt eine normale Zellzahl, das Eiweiß kann normal oder erhöht sein.
Die elektrodiagnostischen Untersuchungen zeigen das Bild einer akuten axonalen Neuropathie mit Erniedrigung der motorischen Summenpotentiale bei normaler motorischer Nervenleitgeschwindigkeit. Im Gegensatz zum differentialdiagnostisch wichtigen Guillain-Barré-Syndrom finden sich keine Hinweise auf eine Demyelinisierung.
Die Prognose der Porphyrie-Polyneuropathie ist prinzipiell gut, bei 40-50 % der Betroffenen lassen sich jedoch neurologische Reststörungen in Form atrophischer Paresen nachweisen. Je länger allerdings eine Porphyrie als Ursache der Polyneuropathie nicht erkannt und behandelt wird, desto schwerer können die Schäden sein.
Nähere Einzelheiten zu diesem Thema finden Sie in unserer Informationsbroschüre für Ärzte "Die akuten Porphyrien"
Über diesen Beitrag:
Autor: Prof. Dr. med. Petro E. Petrides
Erstellt: 08.06.2020